18 Meter unter der Erde - Tour zu den Eingeweiden Wiens

Seit jeher sind die Menschen fasziniert vom Unbekannten. Von dem, was im Verborgenen liegt. Im Fall einer Großstadt - wie es Wien eine ist - ist es das unterirdische Fundament, das sich den Besuchern erst bei genauerem Hinsehen erschließt und letztendlich einen veränderten Blick auf unseren Lebensraum zulässt.

Einer der bestens über jene verborgene Welt unter Wien informiert ist, ist Peter Ryborz, Buchautor und Obmann des Underground Club Vienna. Mit seiner aktuellen Tour "Keller & Co" geleitet er Interessierte in unbekannte Wiener "Abgründe".

In Bunkeranlagen zum Stephansdom

"In zwei Minuten sind wir unter diesem Eisendeckel in 18 Metern Tiefe", verkündet Herr Ryborz nach wenigen Minuten seiner Tour in die historischen Kelleranlagen Wiens. Und tatsächlich befindet sich die Gruppe bald danach in einem weitläufigen Kellersystem, unter dem Pflaster der Stadt. Die schwere Stahltür am Beginn der verzweigten Gänge zeugt von dem einstigen Zweck der Anlage als unterirdisches Bunkersystem. Die phosphoreszierenden Streifen an den Wänden leuchten auch noch heute den Weg zu den stillgelegten Schutzräumen aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Doch irgendwann endet jeder der Gänge an einer Wand.




Das war jedoch nicht immer so, wie Peter Ryborz zu berichten weiß. "Zur Zeit der Türkenbelagerung war der gesamte erste Bezirk vollständig unterkellert. Die Nazis haben diese Kelleranlagen - von denen man problemlos in die Katakomben des Stephansdoms gelangte - zu Bunkern umgebaut. 1952 wurde dann das Wiener Baugesetz verschärft und seit dem sind die Häuser nicht mehr miteinander verbunden. Die Existenz dieser zum Teil noch vollständig erhaltenen Verbindungsgänge wird nicht an die große Glocke gehängt. Man hat Angst, dass es Kriminelle animieren könnte." Eine unerfreuliche Tatsache für den passionierten Untergrund-Forscher, der eine riesige Touristenattraktion darin wittert, "wenn die Stadt Wien einen Keller-Gang komplett freilegen würde und man unterirdisch beispielsweise von der Naglergasse zum Schwedenplatz gehen könnte."

Vom Kanal in den Keller

Und mit Touristenschwärmen hat Peter Ryborz immerhin bereits seine Erfahrungen gemacht. Über fünf Jahre hat er als Veranstalter von Fackeltouren Leute aus aller Welt über eine rund 2,2 km lange Strecke durch das Wiener Kanalsystem geführt. "Zunächst waren es nur 30 Leute, die mit Fackeln den Wienfluss erkundet haben, sehr bald kamen wöchentlich um die 150 Leute. Der Wienflusstunnel ist das größte unterirdische Areal in einer europäischen Metropole. Jeder wollte eine Stunde im Kanal gewesen sein", so Ryborz, der unter anderem auch mit Feuershows aufwartete. 

Heute darf der Untergrund-Idealist jedoch nicht mehr in den Kanal. Seit den Umbauarbeiten am Hauptsammelkanal, die unter Aufsicht der Magistratsabteilung "Wien Kanal" durchgeführt wurde, geleiten die Profis der MA 30 Neugierige aus aller Welt durch den Wien-Kanal. Von Mai bis Oktober begibt sich die Tour auf die Spuren des Filmklassikers "Der dritte Mann", der sich nach wie vor großer internationaler Beliebtheit erfreut. 




Doch während die "Dritte Mann Touren" auf Hochtouren laufen, hat Peter Ryborz längst eine neue Nische entdeckt. Seit 2004 führt er Interessierte in die Keller alte Häuser der Stadt. Obwohl der Mann in Schwarz mit der großen Taschenlampe längst stadtbekannt ist, werden "ein paar Leute immer noch nervös, wenn ich komme. Die denken, ich halte hier so eine Art Seminare für Einbrecher ab", so Ryborz.

Tatsächlich weiht Peter Ryborz schon die Kleinsten in jene oftmals vergessene Welt unter Wien ein. Früher hat er in der großzügigen Anlage des Lenaukellers spezielle Rätselrallyes, die so genannten Rattenrallyes, veranstaltet. Heute jagen die Kids über den Judenplatz nach Hinweisen auf die geheime Welt unter dem Kopfsteinpflaster. Dazu gehört auch die einstmals größte jüdische Synagoge Wiens, um deren Überreste sich das jüdische Museum Wien angenommen hat und hier unter der geschichtsträchtigen Erde eine Art virtuelle Tour anbietet.

Schwere Zeiten

Doch zurück zur realen Tour: In unmittelbarer Nähe zum Judenplatz befindet sich auch der Abstieg in einen weiteren Keller auf Peter Ryborz' Tour. Dieses Mal geht es durch eine ehemalige Sanitäranlage drei Stockwerke unter der Erde. Peter Ryborz leuchtet mit der Taschenlampe - hier gibt es kein elektrisches Licht mehr - auf das historische Tonnengewölbe. "Früher gab es hier unten riesige Hallen, die zum Teil als Trinkhallen genutzt wurden. Papst Pius II soll im Rahmen seines Wien Besuches im 15. Jahrhundert erstaunt über die ungeheure Größe der unterirdischen Stadt gewesen sein. Auch die S-förmigen Wendeltreppen zeugen davon, was für eine unglaubliche Mühe man sich damals mit der unterirdischen Architektur gemacht hat. Das statische Wissen war enorm", so Ryborz.

Lüftungsschächte sorgten und sorgen für ein ausgewogenes unterirdisches Klima. "Die Michaelergruft - Wiens spektakulärste Gruftanlage - kämpft mit Schimmel weil die Lüftungsschächte zugemauert wurden und so eine ungewohnt hohe Luftfeuchtigkeit herrscht. Zudem wurde vor Jahren ein neuseeländischer Rüssel-Käfer eingeschleppt, der sich von den noch vorhandenen Überresten ernährt. Nachdem man die Luftfeuchtigkeit künstlich gesenkt hat, ist der Käfer zwar noch da, aber inaktiv geworden."

Schwierige Bedingungen für Wiens Unterwelt, deren größte Gegner allerdings Tiefgaragen und Banken sind. Während in der oberirdischen Welt immer wieder große architektonische Diskussionen entbrennen, hört man von dem Kulturgut in Wiens Unterwelt vergleichsweise selten. Etwas, das Peter Ryborz mit der internationalen Vernetzung seines Vereins, diversen Veranstaltungen unter der Oberfläche und seinen Kunstprojekten fest entschlossen ist zu ändern. "Mein Engagement gehört der Unterwelt", so der Idealist, dessen Herz unermüdlich für Wiens dunkelste Ecken unter der Erde zu schlagen scheint.