Touren bis 2003
Bildbericht eines Teilnehmers



UND SO BEGANN ES ...:

Jeweils zur Dämmerung treffen sich zu gewissen Tagen kleinere und größere Menschengruppen am Fuße der Steintreppe im Stadtpark in Wien in der Nähe der U4-Station. Fackeln werden an alle Anwesenden verteilt und ein junger Mann mit wildem Haar und einer Trommel unter dem Arm berichtet darüber, was man bei der Fackeltour durch Wiens Unterwelt im "Reich des vierten Mannes" erleben kann.

Auf einmal hört man einen Dudelsackspieler aus der Ferne,der sich der Menge nähert. Die Leute lassen den Mann mit dem Schaffel und dem schwarzen, breitkrempigen Hut in die Mitte treten und er wird von dem Ersteren begrüßt. Mit den Worten "Das ist Albin Paulus, der uns auf unserem Weg begleiten wird" stellt er ihn vor und gibt das Zeichen zum Aufbruch.

Durch eine alte Eisentür führt der Weg entlang einer gewendelten Stiege zum Wienflußbett hinab. Dort, vor dem mächtigen Ohmantor,beginnt der Weg in die Finsternis. Die Fackeln werden entzündet und in Begleitung der Dudelsackmusik setzt sich der Marsch in Bewegung. Auf einmal bekommt der Ton eine stark hallende Wirkung und die vielen Geräusche der Eindringlinge werden gespentisch von der gegenüber liegenden Tunnelwand zurück geworfen.

Bereits nach ein paar hundert Metern gibt es die erste Attraktion bei einem alten Notausgang.

Die Aufschrift "Aufzugschacht" entspricht nicht ganz unseren heutigen Vorstellungen dieses Begriffes, denn sie stammt ausder Zeit der Erbauer. Das "Spinnenmuseum" ist dort zu besichtigen: Man erfährt, daß durch die aufsteigende Wärme der Fackeln der Passierenden damit zu rechnen ist, das sich kleinere und größere Exemplare dieser Gattung in Panik einfach fallen lassen, um zuletzt von den Gästen in das wohnliche Heim gebrachtzu werden. Trotz der zu erwartenden Wirkung lassen sich Einige nicht davon abhalten, dem auf den Grund zu gehen.

Dann geht es weiter bis zum nächsten Notausgang in der Höhe des Schwarzenbergplatztes. Eine steile Wendeltreppe mit einer Breite von etwa 70 Zentimetern führt nach elf Höhenmetern auf das Straßenniveau und endet in einer Litfaßsäule. Die Tür wird aufgeschlossen und vorbeigehende Passanten in Abendgarderobe vom Künstlerhaus kommend, wundern sich über die fackelbewaffneten Menschenmengen, die der Litfaßsäule entsteigen. Auch die laute Anfrage von einem der Heraustretenden "Samma scho in Wien?" verfehlt ihre Wirkung nicht.

Wieder wird berichtet und erzählt, was schon alles erlebt wurde und was einem vielleicht auch noch widerfahren wird, denn erst nachdem der Letzte den Ausgang gefunden hat, kann der Rückweg angetreten werden. Gegenverkehr ist nicht möglich. Das dröhnende Hallen einer Trommel und der monotone Rhythmus dringen von unten herauf, während man sich wieder in eine Welt begibt, die schier weit vom Alltag entfernt ist.

Eine halbe Stunde später befindet man sich in jenen Hallen, in denen seinerzeit der legendäre Nachkriegsfilm mit Orson Welles gedreht wurde. Auch dort wird viel photographiert und gefilmt, manhört die eine oder andere Anekdote und zieht entlang des Flusses weiter. Dann wird es spannend: Wer den Mut hat, kann an der sogenannten "Kanalrattentour" teilnehmen. Wie man erfährt, wird man zwar keinen Kanalratten begegnen, soll sich aber danach womöglich so fühlen, weil man den gleichen Weg nimmt- mehr wird nicht verraten. Wie sich zeigt, sind es nicht nur die Kleinen, die sich diese Möglichkeit nicht nehmen lassen.

Zuletzt findet man den Ausgang inmitten eines Kiosks auf dem Naschmarkt und muß sich erstmals orientieren. Etwa 2,5 Kilometerwurden zurück gelegt und beinahe zwei Stunden sind im Flug vergangen. Jeder bekommt eine Urkunde über die furchtlose Teilnahme an der Fackeltour durch Wiens Unterwelt überreicht und es dauert noch seine Zeit, bevor keine Fragen mehr gestellt werden und auch die Letzten den Heimweg antreten...