und so begann es --- Touren bis 2003 --- Bildbericht

Bildbericht

Bericht eines Teilnehmers bei einer sehr bewegten Fackeltour im März des Jahres 2000:
Was braucht man, um eine Kanalratte zu werden ?

Gestern noch wäre ich beleidigt gewesen, wenn mich jemand als „Kanalratte“ bezeichnet hätte.
Heute bin ich nicht nur eine, sondern halte auch noch stolz meine Ernennungsurkunde in Händen.

Gut, zuerst ist die Euphorie groß, auf den Spuren des „Dritten Mannes“, den wir uns extra am Vorabend im Kino angesehen haben, den Wiener Untergrund zu ergründen. Dann aber kommen die Zweifel.

„Stinkt des ned recht ?“ (bayrischer O-Ton),
„Rennan da vielleicht de Ratz’n umanand ?“
Naja, wird schon nicht so wild werden.
Die wissen schließlich was sie uns zumuten ...., oder ?

Also, wir gehen hin. Es ist kalt, aber trocken.
Statt eines geschniegelten Magistratsbeamten in Anzug und Gummistiefeln kommt Peter an den Treffpunkt.
Statt uns zusammenzurufen, fängt er an, laut zu trommeln. Die Passanten wundern sich nicht. Scheint hier nix besonderes zu sein.
Es ist immer noch eiskalt, aber trocken.
Und dann laufen wir schnurstracks auf so eine Litfasssäule zu. Genau so eine, wie im Film, da, wo Harry plötzlich spurlos verschwindet.
Und tatsächlich, Peter hat tatsächlich den Schlüssel.
Der Dudelsackpfeifer (!) erzählt uns noch, dass er eigentlich gar nicht zu unserer Unterhaltung mitkommt, sondern um die Ratten fernzuhalten. Wir sind gespannt...

Drunten angekommen öffnet sich der lange Tunnel der Wien. „Des is da, wo die entlang g’rannt san.“, flüstern wir uns zu. Es ist ein bisschen finster. Peter hat uns gewarnt, nicht alle Fackeln gleich anzuzünden, weil sie sonst nicht bis zum Schluss reichen (um es vorweg zu nehmen, die reichen grad ein Drittel der Zeit).

Peter erzählt uns, dass es hier gefährlich werden kann, wenn es zu regnen beginnt. Aber es gibt zwei gute Schutz-Möglichkeiten. Erstens den Wetterbericht und zweitens ein Feueropfer an den Regengott.

Wir vertrauen beiden.
Der Wetterbericht sagt trockenes Wetter voraus, und das Feueropfer entpuppt sich als das Abbrennen der leeren Fackelschachtel, die lodernd den unterirdischen Kanal in Richtung Donau entlang treibt und in der Ferne erlischt.

Peter

Der Dudelsack pfeift übrigens weder schottischen Hochlandweisen, noch Anton Karas’ unvergessliche Dritte-Mann-Titelmusik, sondern Pippi Langstrumpf und ähnlich Banales. Aber es zeigt seine Wirkung. Wir sehen keine einzige Ratte und die Musik macht unweigerlich gute Laune zum düsteren Spiel.

Wir kommen zum eigentlichen Highlight der Tour, den Raum, in dem die meisten unterirdischen Filmszenen gedreht wurden.
Und es gibt sie tatsächlich.
Die unterirdische Brücke über den Kanal, über die Orson Welles im Film immer wieder und wieder drüberrennt (es ist tatsächlich immer die gleiche !). Nur, dass alles sehr viel kleiner ist, als es im Film wirkt.

Also hier sind sich Verfolger, Verfolgte und Filmteam sicher ständig gegenseitig auf die Füße getreten.

3Mann

Aber faszinierend ist es schon. Vielleicht die einzige Filmkulisse, die heute noch genauso aussieht, wie vor 50 Jahren.

Das allgegenwärtige Rauschen nimmt zu. Peter wird unruhig, Aus den Gullys in der Tunnelmitte schwappt Wasser in die Wien. Peter fragt, ob wir das Rauschen hören.
„Kommen wir zu einem Wasserfall ?“
Quatsch ! Peter sagt, draußen regnet’s. Aha.

Peter’s Schritte werden schneller und er gibt uns Instruktionen. Hier am Rand des Kanals gibt es so gut wie keine Strömung. „Also, selbst wenn Ihr nasse Füße bekommt, geht einfach ruhig weiter zum nächsten Ausgang.

Das Rauschen wird zu einem Tosen.

Peter erklärt uns das Prinzip der Wiener Kanäle. Abwasser und Regenwasser laufen in den selben Kanälen. Leider sind sie aber für das Wien längst vergangener Dimensionen ausgelegt. Heute sind diese Kanäle nicht mehr in Lage, bei Regen die Wassermassen aufzunehmen.

Überlauf

Und dann ?


Dann fließt die ganze Sch... einfach über und läuft über Verbindungsgänge in die Wien.

Tolle Vorstellung !?
Die eben zitierten Verbindungsgänge füllen sich. Unsere Sprünge über die Zuflüsse zur Wien werden immer größer. Wir gehen weiter. Peter’s Miene erhellt sich. Der Regen scheint aufzuhören, wir müssen nicht raus. Optimale Bedingungen. Es läuft zwar über, aber es ist ungefährlich genug, dass wir es uns aus der Nähe anschauen können.

Doch zuvor hat Peter noch einen Clou für uns auf Lager. Er möchte uns zeigen, wo wir eigentlich gerade sind und führt uns die Treppe nach oben... Nein, ich verrate es nicht !!

Aber eines steht noch aus. Der Weg zum Überlauf.
Und Peter sollte Recht behalten. Nur was für starke Gemüter, wasserfeste Schuhe und schlechte Nasen.

Der Abschluss der Tour ist für die beiden, sichtlich angetrunkenen Jungs, die draußen zufällig vorbeikommen, kaum zu fassen:

Der Segment-Kanaldeckel hinter’m Naschmarkt hebt sich wie von Geisterhand. Zuerst kommt einer mit einer Fackel heraus. Dann klettern immer mehr hoch, mit abgebrannten Fackeln in der Hand oder Grubenlampen auf dem Kopf, stinkend (nehm ich zumindest an), schmuddelig und müde vom doch ganz schön langen Fußmarsch.

Ausstieg

Aber zurück zur Ausgangsfrage, was braucht man nun, um eine Kanalratte zu werden ?
Gute Laune, gute Nerven, feste Schuhe, gutes Wetter und die Jungs vom Underground Club Vienna !!

Walter aus München 11.3.00

ZURÜCK

HAUPTSEITE